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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
Marlon Brando war ziemlich schlecht gelaunt an jenem 12. Juni 1973. Die TV-Aufnahmen für eine Talkshow in den New Yorker ABC-Studios waren nicht gut gelaufen, Brando hatte Hunger und war gerade auf der Suche nach einem Restaurant in Chinatown. Da tauchte aus dem Nichts plötzlich Ron Galella mit seiner Nikon auf.
"Herr Brando, Herr Brando, nehmen Sie doch bitte mal die Sonnenbrille ab", rief ihm der Fotograf zu. Herr Brando antwortete mit einem blitzschnellen Fausthieb. Galella stöhnte auf und ging vor Schmerz in die Knie: Der Schauspieler hatte ihm den Kieferknochen zertrümmert und auf einen Streich fünf Zähne ausgeschlagen.
Galella schleppte sich ins Krankenhaus - und ging doch als Gewinner aus der unerfreulichen Begegnung hervor: 40.000 Dollar Schmerzensgeld kostete Brando der brutale Ausraster, zudem entzündete sich die Hand des Schauspielers: "Es waren meine Paparazzi-Keime, die Brando so zugesetzt haben", sagt Galella und lacht.
80 Jahre ist der von der "Vanity Fair" zum "Godfather aller US-Paparazzi" geadelte, weißhaarige Mann mit der Boxernase jetzt alt. Die Arthritis in seinen Beinen zwingt ihn dazu, am Stock zu gehen, wie er erzählt. Längst vorbei die Zeiten, in denen Galella aus Büschen hervorsprang, stundenlang in Garderoben lauerte oder auf Taxirücksitzen kauerte, um das Objekt seiner Begierde zu erwischen.
Der von Bob Dylan als "Meuchelmörder" geschmähte, von anderen als "Parasit", "Widerling" und "Stalker" gescholtene Starjäger, er ist selbst zum Star avanciert, zum Künstler. Seine Bildbände werden von der "New York Times" ausgezeichnet, seine Aufnahmen zieren das honorige MoMA - und sind ab sofort auch in Berlin zu sehen. "Ron Galella. Paparazzo Extraodinaire!" heißt die Ausstellung, anlässlich der Berlinale zeigt C/O Berlin rund 140 Schwarz-Weiß-Fotografien Galellas. Ein Selfmademan, der hart kämpfen musste, um es bis nach oben zu schaffen.
Vom Armeefotografen zum Promi-Stalker
"Du musst Dich entscheiden. Entweder Du bist ein 'nobody' oder ein 'somebody'", schärfte ihm seine Lehrerin an der High School einst ein. Galella, im Jahr 1931, auf dem Höhepunkt der amerikanischen Depression, in der Bronx geboren, entschied sich für den "somebody": Er wollte es einmal besser haben als sein Vater, ein Emigrant aus Süditalien, der sich als Sargschreiner durchs Leben schlug.
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Ron Galella: "Parasit", "Widerling", "Stalker"
Das College konnten sich seine Eltern nicht leisten, also heuerte Galella bei der U.S. Air Force an, die ihn 1951, mitten im Koreakrieg, zum Fotografen der Bodentruppen ausbildete. Später besuchte er auf Kosten der Armee eine Fotografenschule in Los Angeles. Hier begann er, sich als uneingeladener Gast auf den Hollywood-Partys herumzudrücken und die ersten Promi-Schnappschüsse zu verkaufen.
Zurück in New York stellte Galella den Stars ab Ende der fünfziger Jahre im großen Stil nach. Er lauerte an Hauseingängen, versteckte sich in Telefonzellen, tummelte sich auf Premieren, Vernissagen, Partys und Filmsets. Sein Ziel: den privaten Moment erhaschen, in dem die Maske des Stars fällt - und die Ikone zum Menschen schrumpft. "Ich wollte wissen, wer sich hinter dem Glamour verbirgt", sagt Galella.
"Shoot, shoot, shoot!"
Um die Celebrities vom Sockel zu stürzen, war ihm kein Trick zu billig: Galella trug Perücken, Hüte und unechte Schnurrbärte, fälschte Einlasskarten, bestach Kellner und Köche, flirtete mit den Dienstmädchen der Stars. Vor allem aber versuchte er stets der Schnellste zu sein: "Shoot, shoot, shoot, das ist mein Credo. Bevor die Stars 'Kein Foto!' rufen, bevor die Polizei dich abführt", sagt er. Er sparte sich die Zeit, durch den Sucher zu schauen, sondern fixierte seine Beute - und drückte blind ab.
Jäger und Gejagter, so seine Taktik, müssen sich in die Augen blicken, und sei es nur für eine Hundertstelsekunde. So entstanden jene Aufnahmen, die Galella Weltruhm verschafften: Burt Reynolds, der verschämt an seinem Toupet zupft, Jack Nicholson, der ihm die Zunge rausstreckt. Jagger-Muse Jerry Hall, die ihm den Stinkefinger zeigt. Mehr als drei Millionen Promi-Fotos schoss er in den vierzig Jahren seines Paparazzo-Daseins, sie schlummern im Keller seiner neoklassizistischen Villa in New Jersey.
Ob Elisabeth Taylor oder Sophia Loren, Frank Sinatra oder Liza Minelli, Chuck Berry oder Madonna - Galella kriegte sie alle. Doch niemanden jagte der Paparazzo leidenschaftlicher als Jackie Kennedy Onassis: Die einstige First Lady der USA wurde ihm zur Obsession. Galella verfolgte sie nicht nur in New York auf Schritt und Tritt, sondern reiste ihr quer durch die Welt hinterher - bis hin zur griechischen Insel Skorpios, wo er sich als griechischer Segler verkleidete, um Jackie im Bikini auf ihrer Yacht abzulichten. "Sie war so natürlich, so wunderschön, so mysteriös. Ich konnte einfach nicht anders", schwärmt Galella.
"Zertrümmere seine Kamera!"
Sein wohl berühmtestes Foto von ihr, "Windblown Jackie", gelang ihm am 7. Oktober 1971 auf der Madison Avenue in New York. Galella lauerte im Taxi, als plötzlich Jackie auf dem Bürgersteig auftauchte. Galella befahl dem Fahrer zu hupen. Erstaunt drehte sich Jackie um, mit vom Wind zerzausten Haaren, den leisen Anflug eines Lächelns auf den Lippen. "Meine Mona Lisa" nennt Galella sie zärtlich und findet, dass seine Mona Lisa sogar noch jene von Leonardo Da Vinci übertreffe. "Weil Jackie doch viel berühmter ist als diese Florentinerin", sagt er selbstsicher.
Doch die tiefen Gefühle, die er für die JFK-Wite hegte, stießen auf wenig Gegenliebe. "Zertrümmere seine Kamera!", rief Jackie ihrem Agenten zu, als Galella wieder einmal aus einem Busch vor ihrer Wohnung an der Fifth Avenue hervorgekrochen kam. Sie verklagte den anhänglichen Paparazzo wegen Belästigung. 1972 untersagte ihm ein Richter, seiner Liebe näher als 25 Fuß zu kommen - Galella pfiff darauf. Zehn Jahre später wurde er erneut vorgeladen und musste versprechen, Jaqueline Kennedy Onassis bis ans Lebensende nicht mehr zu fotografieren.
Andere Stars bemühten kein Gericht, sondern übten kurzerhand Selbstjustiz. Marlon Brando etwa, mit seinem cholerischen Fausthieb, aber auch Richard Burton. Der hetzte einst seine drei Bodyguards auf den Fotografen - in dem Gefecht ließ Galella einen weiteren Zahn. Oder aber der Freund von Brigitte Bardot am Strand von Saint Tropez: "Ich rannte mit hochgekrempelten Hosen am Meersaum entlang, um BB beim Wasserskifahren abzulichten, da spritzte er mich von oben bis unten nass", sagt Galella.
Klingelstreich in Beverly Hills
So manche Berühmtheit kam jedoch nicht umhin, den lästigen Paparazzo auch zu bewundern. Andy Warhol nannte Galella in seinem Tagebuch seinen "Lieblingsfotografen", Elisabeth Taylor verwendete acht seiner Aufnahmen für ihre Autobiographie, und mit Grace Kelly und Warren Beatty verband ihn gar eine Freundschaft. "Die meisten liebten meine Fotos, selbst Jackie hat sie heimlich aus den Zeitungen ausgeschnitten und gesammelt", behauptet er - ein Dienstmädchen habe es ihm verraten.
Denn bei aller voyeuristischen Lust am Privaten, Natürlichen, Ungeschminkten widerstand Galella stets der Versuchung, das Ansehen der Stars zu beschädigen, sie als vulgär zu entblößen: Er erlegte seine Beute, ohne sie dabei zu verunglimpfen, hässliche Star-Schnappschüsse veröffentlichte Galella nicht, ein Grundsatz, der ihn seiner Ansicht nach von der heutigen Garde der Cellulitis- und Babybauch-fixierten Paparazzi abhebt.
"Gangbanger", Gangster nennt er sie abfällig und stöhnt auf: "Ein widerliches Volk! Ohne Respekt vor der menschlichen Würde." All die Aufnahmen von Britney Spears im Schlabberlook, Lindsay Lohan im Alkoholrausch, Jennifer Lopez mit fettigen Haaren beim Shoppen, sie ekeln Galella an. Zumal kaum einer der so genannten Stars mehr Talent besäße. "Wir leben in einer verrückten Welt", sagt er.
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Dass heutzutage Nacktfotos der Promis veröffentlicht würden, findet er ebenso skandalös wie er jene Paparazzi verachtet, die bei ihrer Motivjagd in die Gärten und Villen der Stars einbrechen. "Ich klingelte an den Türen der Schönen und Reichen in Beverly Hills und schoss Fotos, wenn sie öffneten. Unerlaubt in ihre Privatsphäre eingedrungen bin ich nie", sagt er.
Nur einmal, erzählt Galella, da juckte es ihn in den Fingern: Doris Day räkelte sich im Bikini an ihrem Pool, der Paparazzo hatte sich Zutritt zum Nachbargrundstück ergaunert. Weil er keine andere Möglichkeit sah, näher an die Schauspielerin ranzukommen, bog er die Zweige einer Hecke beiseite, steckte die Kamera durch und drückte auf den Auslöser. Als sich Galella das nächste Mal dort auf die Lauer legen wollte, hatte Doris Day eine Mauer errichten lassen: "So lief das Spiel", sagt der alte Mann.